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Praefatio[1]

||f. 1|| (1) Dominis merito venerabilibus patribus fratribusque Inda monasterio Deo Iesu famulantibus Ardo servorum Christi famulus salutem dicit. Iam pridem, dilectissimi fratres, vestrae ||6|| ad me delatae sunt litterae,[2] amore piae recordationis patris nostri Benedicti abbatis stipatae exitumque ac migrationem eius ad Christum breviter, set amabiliter continentes. In quibus exiguitatem meam ammonere estis dignati, ut latius initium conversationis[3] eius audire cupientibus scriberem; set actenus, virium mearum cernens pondus excedere, distuli. Siquidem sagaci industria scribentibus precedentium vitam meritis venerabilem, virtutibus cele||11||brem, curandum est, ne aut neglegentia torpentes omittant utilia aut inducti gratia adiciant supervacua; set diligentissime exquisita necnon evidentium relatione testium roborata currente calamo[4] scribant, non rusticitatis vicio redolentes peritorum adgravent aures, set urbanitatis salefacentiae[5] condita proferant verba politisque sermonibus, ut ita dixerim, derogantium demulceant aures. Meae vero ipse imperitiae exspers[6], vestris quandoque pari||16||turus preceptis, longo silui tempore et, [ut] ab eruditioribus explicaretur, sustinui; periniquum nempe decernens, si tanti patroni vitam imperitis attingerem verbis peritioribusque debitum auferrem laborem, qui queunt, copia verborum affluentes, pompatice quaeque volunt enucleare et inter syrtes nil paventes regere cimbam solecismorumque vitare fetorem, facundiaque eloquentiae prediti, ex abundanti eis est copia fandi[7] derogantium ||21|| comprimere linguas. Pavebam, ne hi, dum vitiose conposita corrigere vellent, a male contextis exacerbati, adiudicarent neglegenda; presertim cum noverim, vos sacrae aulae palacii adsistere foribus, nec turbulentis rivulis sitire potum, quin pocius ab indeficienti vena purissimi fontis sedulo sapientiae aurire fluenta. Haec me ratio annali continuit spatio.[8]   (1) Den verdientermaßen verehrungswürdigen Herren, Vätern und Brüdern, die Gott Jesus im Kloster Inden dienen, sagt Ardo, Diener der Knechte Christi, seinen Gruß. Schon vor geraumer Zeit, hochgeschätzte Brüder, wurden mir eure Briefe übermittelt, die voller Liebe zum frommen Andenken an unseren Vater Abt Benedikt waren und kurz, aber liebevoll seinen Tod und seinen Heimgang zu Christus enthalten. In ihnen geruhtet ihr, meine geringe Größe zu ermutigen, für die, die es hören wollen, ausführlicher über den Beginn seines frommen Lebens zu schreiben; aber bis jetzt habe ich es aufgeschoben, weil ich meinte, dass diese Last meine Kräfte übersteigt. Denn es müssen die, die über das durch Verdienste verehrungswürdige und durch Tugenden berühmte Leben der Vorangegangenen schreiben, mit scharfsinnigem Fleiß dafür sorgen, dass sie nicht durch Nachlässigkeit gelähmt Vorteilhaftes übergehen oder durch Gunst verleitet Unnützes hinzufügen; sondern dass sie sorgfältig Untersuchtes und außerdem durch den Bericht glaubwürdiger Zeugen Bekräftigtes mit flinker Feder schreiben, nicht mit dem Fehler der Plumpheit behaftet die Ohren der Sachkundigen belasten, sondern mit dem Witz der Gewandtheit gewürzte Worte verlauten lassen und mit geschmückten Reden, um es so zu sagen, den Ohren der Kritiker zu schmeicheln. Im Bewusstsein meiner Unfähigkeit habe ich lange Zeit geschwiegen, obwohl ich irgendwann wohl Euren Wünschen nachkommen müsste; ich habe es aufgeschoben, damit es von Gebildeteren dargelegt werde; ich fand es nämlich völlig unangemessen, mich mit unerfahrenen Worten an das Leben eines so großen Herrn heranzuwagen, und habe die geforderte Arbeit Erfahreneren vorbehalten, die im Überfluss ihrer Worte prunkvoll das erläutern können, was sie wollen, zwischen den Sandbänken steuern ohne Furcht und den Gestank fehlerhaften Sprachgebrauchs vermeiden; mit gewandter Beredsamkeit können sie in der Fülle ihrer Worte die Zungen der Kritiker zum Schweigen bringen. Ich fürchtete, dass die, die fehlerhaft Zusammengestelltes verbessern wollen, von übel Verfasstem erbittert, es als zu vernachlässigen aburteilen; besonders weil ich weiß, dass ihr euch an den Pforten des Palastes befindet, und dass ihr nicht nach dem Trank rauschender Bäche verlangt, sondern vielmehr eifrig den Fluss der Weisheit von einem unaufhörlichen Strom der reinsten Quelle trinkt. Diese Überlegung hielt mich für die Zeit eines Jahres zurück.
(2) Interea coeperunt me mordacissimis verbis ab inherti studio expergescere fratres, ||26||quos ipse pio conamine genuerat Christo, et ut eis illum gestis vitae religiosae resuscitarem, compellere, a quo absentes esse solo constat consortio corporis, non plenitudine caritatis. Sic tandem adgredior explicare opus. Dedit ausum ac consilium veniale etiam locus[9], qui ab eo primitus constat esse constructus, fratresque, qui eius noverant conversationis initia. Nam quod aliis contigit vix non ||f.1'.|| audiri, ab his potuit vix non videri.[10] Igitur pro ||31|| captu rebus ex parte collectis, inpensas operi accuratius explicaturi paramus et quasi quoddam seminarium lacius promulgaturi nimium arctamus; hoc umili prece poscentes, ut si quis hoc despexerit opus, linquat aut corrigat, sin alias, legere scireque volentibus sinat seque ad precedentium patrum vitam legendum convertat.[11] Et si hunc ab eorum tramite iuxta vires non oberrasse repererit, gratuletur; sin autem, non temere iudicando ||36|| refutet, set lacrimabiliter interveniendo ei aequissimum Iudicem pacatissimum reddat.   (2) Inzwischen begannen die Brüder, die er selbst mit frommer Anstrengung für Christus gewonnen hatte, mich mit sehr bissigen Worten von meiner trägen Neigung aufzuwecken, und anzutreiben, ihn für sie in seinem religiösen Wirken zum Leben zu erwecken, steht doch fest, dass sie von ihm nur hinsichtlich der Gemeinschaft des Körpers getrennt sind, nicht jedoch von der Fülle seiner Liebe. So nehme ich es schließlich in Angriff, das Werk zu erläutern. Auch der Ort, der ohne Zweifel in erster Linie von ihm errichtet wurde, gab mir Verwegenheit und gnädigen Rat, ebenso die Brüder, die den Beginn seines Lebens kannten. Denn was die anderen vom Hörensagen wissen, haben diese mit eigenen Augen gesehen. Da wir nach unserem Vermögen die Dinge teilweise gesammelt haben, schicken wir uns also an, das für unser Werk Wichtige genauer zu erklären und fassen es zusammen, um es gleichsam wie eine Saat weiter zu verbreiten. Wir fordern in bescheidenem Gebet, dass wer auch immer dieses Werk geringschätzt, es beiseite legt oder korrigiert, sonst soll er es die, die wollen, lesen und wissen lassen und sich der Lektüre des Lebens der vorangegangenen Väter zuwenden. Und wenn er entdeckt, dass er entsprechend seinem Vermögen nicht vom Weg der letztgenannten abgewichen ist, soll er sich freuen; wenn nicht, soll er ihn nicht mit leichtfertigem Urteil zurückweisen, sondern ihn mit tränenreicher Unterstützung dem gnädigsten und gerechtesten Richter überantworten.
(3) Vestris quia parui iussis, o sanctissimi fratres, precor, ut me orando adiuvetis ad Deum, quatinus orantibus vobis, et meorum mihi detur venia delictorum, et posteris proficiat in augmentum[12]. Rursumque obnixe postulo, ut hanc pervigili studio relegatis, et quaeque vitiose contexta fore probaveritis, elimando corrigite, si qua vero utilia, in archana ||41|| pectoris vestri excolenda servate. Siquidem imperio vestro, silentii vim subtractam[13], affectum prebuimus, non effectum; loqui nostrum vobis imputabitis, qui non tacere nos imperasse recolitis. Et quoniam ei unicae dilectionis affectu migranti de seculo Helysacar[14] hesit abbas, sicut ipsius auro preciosior nobis directa testatur epistola, post vestram examinationem illi singulariter censeo presentari. Esto[15], occulendam esse decernerit[16], veniam de meo posco ||S. 201|| errore; sin vero, utilem, qui libenter paruerunt viventi, imitare satagant vitam absentis. Perantiquam siquidem fore consuetudinem actenus regibus usitatam, quaeque geruntur acciduntve annalibus tradi posteris cognoscenda, nemo, ut reor, ambigit doctus. Et quoniam mens diversis rebus partita oblivione caecatur, divinitus credimus esse consultum, ut ||5|| quae oblivio prolixa procurrente tempore poterat aboleri, litteris mandarentur servanda, quarum lectione iocundantur, hylarescunt totosque se ad gratiam inflectunt hi qui talia concupiscunt legere; nec ab his temerarius iudicatur auctor scripturae, etiamsi contingat minus politis perstrepere verbis, ad quam avide cognoscendam desudant. Concedant ergo nobis et precedentium legere vitam et posteris mandare quae ipsis nostris temporibus ||10|| vidimus vel audivimus ad augmentum animarum profutura; nec condemnemur de imperitis sermonibus et rusticitatis vitio redolentes, quoniam ratum ducimus normam salutiferam licet vilibus depromere verbis et in abiectis virgulis pulcherrimum pandere favum[17]. Suo quisque sumat arbitrio, quae animo conperit placitura.   (3) Weil ich euren Gesuchen gehorcht habe, bitte ich euch, oh hochheilige Brüder, dass ihr mir durch Gebete zu Gott helft, damit mir durch euer Beten Vergebung meiner Fehler gewährt werde und es den Nachfolgenden zum Nutzen gereiche. Wiederum und inständig bitte ich, dass ihr dies mit wachsamer Aufmerksamkeit wiederholt lest, und korrigiert sorgfältig, was auch immer ihr als fehlerhaft verfasst entlarvt, wenn ihr aber etwas Nützliches findet, bewahrt es ehrfurchtsvoll in den Tiefen eures Herzens. Freilich haben wir Eurem Befehl – die Kraft des Schweigens weggezogen – großes Wohlwollen gewährt, nicht aber die (gewünschte) Wirkung. Unsere Rede müsst ihr euch selbst zuschreiben, die ihr uns, wie ihr euch erinnert, nicht schweigen ließet. Denn es hing Abt Helisachar mit der Zuneigung einzigartiger Liebe an ihm, als er die irdische Welt verließ, wie sein an uns gerichteter Brief, wertvoller als Gold, bezeugt; ich denke, das Buch sollte nach eurer Untersuchung insbesondere ihm überreicht werden. Sei es, dass er aber beschließt, dass es verborgen werden soll, erbitte ich Vergebung für meinen Irrtum; wenn er es aber für nützlich befindet, sollen sich die, die Benedikt zu seinen Lebzeiten gerne gehorcht haben, bemühen, das Leben des Verstorbenen nachzuahmen. Wie ich glaube, zweifelt kein Gelehrter, dass ja nach einem alten, bei Königen noch immer üblichen Brauch, das, was getan wird oder was geschieht, in Annalen zur Kenntnis der Nachkommen überliefert wird. Und da der Geist durch Vergesslichkeit für verschiedene Sachen blind wird, glauben wir, dass durch göttliche Fügung beschlossen wurde, das, was sich durch große Vergesslichkeit im Laufe der Zeit verlieren konnte, den Buchstaben zur Bewahrung anvertraut, durch deren Lektüre diejenigen Leser erfreut werden, heiter werden und sich ganz der Dankbarkeit hingeben, welche solches zu lesen wünschen. Und der Autor dieser Schriften wird von ihnen nicht leichtfertig verurteilt, auch wenn es nicht sonderlich gelingt, mit geschliffenen Worten zu preisen, was mit Eifer zu begreifen sie sich bemühen. Sie sollen also auch uns zugestehen, das Leben der Vorausgegangenen zu lesen und den Nachfolgenden zu übergeben, was wir in unseren eigenen Zeiten gesehen oder gehört haben zur Bereicherung des Nutzens der Seelen; und lasst uns, die wir nach Fehler riechen, nicht verurteilt werden für ungeschickte Reden und Plumpheiten, wir halten es nämlich für gerechtfertigt, eine heilbringende Richtschnur aus freilich wertlosen/einfachen Worten auszudrücken und in diesen dahingeworfenen Zweiglein den schönsten Honig zu verbreiten. Jeder möge nach seiner Meinung nehmen, was seinem Geist angenehm erscheint.

Anmerkungen

[1] Zur Topik in Widmungsbriefen vgl. allgemein (ohne gesondert auf Ardo einzugehen) Gertrud Simon, Untersuchungen zur Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, in: AfD 4 (1958) S. 52–119 (1. Teil) und 4/5 (1959/60) S. 73–153 (2. Teil).

[2] Vgl. unten Kapitel 42.

[3] Der Begriff conversatio ist für einen Benediktinermönch von besonderer Wichtigkeit, denn neben der stabilitas loci und der oboedientia ist die conversatio morum der zentrale Bestandteil des Mönchsgelübdes, vgl. Regula Benedicti 58,17 (<http://www.osb.hu/lelki/regula/l_regula/l_rb8.html#LVIII> oder <http://www.intratext.com/IXT/LAT0011/_P1N.HTM#8UI>).

[4] currente calamo ist eine in karolingischer Zeit relativ geläufige Floskel. Vgl. z. B. Alcuini carmina 1, 290 (MGH Poetae 1 S. 176) und Milo, De sobrietate, praef. 6 (MGH Poetae 3 S. 613).

[5] salefacentiae, vielleicht zu lesen als sale facetiae.

[6] Zu verstehen als expertus, vgl. Rädle, Smaragd S. 85.

[7] copia fandi ist ein geläufiger Hexameterschluss, vgl. etwa Vergil, Aen. 1. 520; 11. 248 oder 11. 378 und die übrigen bei Otto Schumann (Hg.), Lateinisches Hexameter-Lexikon 1 (MGH Hilfsmittel 4,1, 1979) S. 444 genannten Stellen.

[8] Das Todesdatum Benedicts ist der 11. Februar 821. Mit obiger Angabe ergibt sich somit 822 als das früheste Abfassungsdatum der Vita.

[9] Aniane. Die Stelle bietet keine Handhabe für die Annahme, dass Ardo „Benedikts Nachfolger als Abt in Aniane“ (Löfstedt, Zu Ardos Vita S. Benedicti S. 179) gewesen sei.

[10] „‚Was andere kaum zu hören bekamen, konnten diese zu sehen nicht vermeiden‛; das non nach dem ersten vix ist also überflüssig“. (Löfstedt, Zu Ardos Vita S. Benedicti S. 179).

[11] Hier liegt sicherlich ein Anklang an die Regula Benedicti vor, wo an zwei Stellen ausdrücklich das Studium der Vitas Patrum vorgeschrieben wird (RB 42,2 und 73,5f.).

[12] Vgl. die ähnliche Verwendung von augmentum weiter unten gegen Ende des Abschnitts: ad augmentum animarum profutura.

[13] Zur Verwendung des accusativus absolutus vgl. Rädle, Smaragdus S. 85.

[14] Kanzler Ludwigs des Frommen bis 819, Abt mehrerer Klöster, unter anderem von St. Riquier, vgl. LexMA 4 (1989) Sp. 2121 (Josef Fleckenstein).

[15] Konditional zu verstehen, vgl. Rädle, Smaragd S. 86.

[16] = decreverit, Rädle, Smaragd S. 85.

[17] L.-H. Lucassen, A propos d’un texte de la vie de Saint Benoit d’Aniane par Ardon, in: Archivum latinitatis medii aevi 4 (1928) S. 78 f. schlägt hier die Lesung fanum (als außergewöhnliche Akkusativform von fano statt favus) vor. Favus (=„gâteau de miel“) sei „inconciliable avec le contexte et le verbe pandere dont il dépend“. Den mit quoniam beginnenden Nebensatz übersetzt Lucassen folglich: „car nous trouvons bon de montrer un exemple salutaire tout en nous servant de mots communs et de déployer à une hampe ordinaire un beau drapeau“. Vgl. auch Löfstedt, Zu Ardos Vita S. Benedicti S. 179, demzufolge virgula mit „Korb“ zu übersetzen wäre: „in abiectis virgulis pulcherrimum pandere favum. Es handelt sich um Körbe aus Ruten, vermute ich“. Bonnerue, Ardon S. 53 Anm. 8 erwägt hier eine Anspielung auf den Schlusssatz von Benedicts Prologus I zur Concordia regularum: ... invalidis vero multigenis ex floribus nectar adsumptum lucidum depinximus favum (CC cont. med. 168A, 1999, S. 4, 40–42 (21). Das Verb pandere ist bei Ardo häufiger anzutreffen, vgl. unten Kapitel 3 und 4.


Letzte Bearbeitung: $Date: 2008-10-23 19:52:24 $