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Kapitel 1–11

1. (4) Igitur vir venerabilis nomine et merito Benedictus abbas ex Getarum genere parti||15||bus Gotiae oriundus fuit, nobilibus natalibus ortus[1]; set eum superna pietas potiori virtutum claritate nobilitavit. Pater siquidem eius comitatum Magdalonensem quoadusque vixit tenuit et Francorum genti fidelissimus totis viribus extitit, fortis et ingeniosus; hostibus enim valde erat infestus. ||f.2.||Hic nempe magna prostravit strage Wascones, qui vastandi gratia fines regni Francorum fuerant ingressi; e quibus nullus evasit, nisi quem pernix ||20|| fuga salvavit. Hic pueriles gerentem annos praefatum filium suum in aula gloriosi Pipini regis reginae tradidit inter scolares nutriendum; qui mentis indole gerens aetatem, diligebatur a commilitonibus; erat quippe velox et ad omnia utilis[2]. Post haec vero pincernae sortitur offitium. Militavit autem temporibus prefati regis. Post cuius excessum cum regni gubernacula Karolus gloriosissimus rex potiretur, ei adaesit serviturus.   1. (4) Der hoch zu verehrende Mann, von Name und Verdienst Abt Benedikt, stammte aus dem Geschlecht der Goten aus dem Gebiet Gotia – seine Herkunft war von nobler Geburt. Doch adelte ihn stärker noch seine himmlische Frömmigkeit durch den Glanz seiner Tugenden. Sein Vater freilich hatte die Grafschaft Maguelone Zeit seines Lebens inne, und zeigte sich mit aller Kraft als höchster Getreuer des fränkischen Volkes, stark und klug, denn den Feinden gegenüber war er gefährlich. Er warf in einem großen Gemetzel die Basken nieder, die die Grenzen des Reichs der Franken, um Beute zu machen, überschritten hatten. Und keiner von ihnen entkam, wenn nicht eine schnelle Flucht ihn rettete. Er übergab seinen bereits erwähnten Sohn, der in den Jahren seiner Kinderzeit war, am Hof des ruhmreichen Königs Pippin der Königin zur Erziehung unter den Schülern. Dieser war für sein Alter außerordentlich begabt und wurde von seinen Kameraden hoch geschätzt. Er war schnell und zu allem zu gebrauchen. Danach aber nahm er das Amt des Mundschenks wahr. Er leistete Kriegsdienst zu Zeiten des genannten Königs. Nach dessen Tod, als der überaus glorreiche König Karl die Leitung des Reiches erlangte, trat er in dessen Dienste ein.
(5) Interea, illustrante ||25|| divina gratia, superno coepit flagrare amore et ut seculum linqueret totis aestuare nisibus periturumque fastidire honorem, ad quem cum labore[3] adtingere posse cernebat, set adeptum cito amittere. Per triennium autem hoc corde tegens, soli Deo secretum tenuit, corpore, non mente [se] seculi actibus inserens. Temptabat igitur infra hoc spatium, si continentiae culmen arripere posset, subtraere corpori somnum, reprimere linguam, absti||30||nere a cibo, parcius sumere vinum et veluti peritus athleta ad futurum se conponere bellum. Premeditabat siquidem in seculari adhuc abitu sistens, quae postea devotus implevit; set quanquam a seculi se actibus exuere vellet, esitabat tamen, quibus hoc modis faciendum esset, utrum peregrini adsumeret abitum, an forte se alicui coniungeret et omnium oves aut armenta gratis pasceret, an etiam in civitate sutoris exerceret artem, et quae habere ||35|| posset pauperibus erogaret. Sub tali quippe certamine fluctuantem animum[4], ad amorem se vitae regularis convertit.   (5) Unterdessen wurde er von göttlicher Gnade erleuchtet und begann, in himmlischer Liebe zu entflammen und mit allen Kräften darauf zu brennen, sich von der Welt abzuwenden, bemerkte er doch, dass deren nur mit Mühe zu erreichende Würden kaum gewonnen schnell wieder verloren gehen. Für drei Jahre behielt er dieses Geheimnis nur für Gott und verhüllte es in seinem Herzen. Mit dem Körper, nicht mit dem Geist warf er sich den Aktivitäten der Weltlichkeit entgegen. In dieser Zeit versuchte er, den Gipfel an Mäßigung zu erreichen, seinem Körper Schlaf zu entziehen, zu schweigen, von Speise sich fernzuhalten, seltener Wein zu trinken und sich gleichsam wie ein erfahrener Krieger auszubilden im Hinblick auf zukünftigen Krieg. Bis jetzt noch in weltlichem Stand, bedachte er bereits sein zukünftiges frommes Leben. Aber obwohl er sich von den weltlichen Aktivitäten befreien wollte, zweifelte er dennoch, auf welche Weise das zu machen sei: Ob er das Gewand eines Wandermönches anlegen sollte oder sich vielleicht jemandem anschließen sollte, um umsonst die Schafe oder das Vieh aller zu hüten oder sogar in der Gemeinde das Handwerk des Schusters ausüben und was er verdienen konnte, den Armen geben sollte. Während sein Geist noch schwankend war unter einem solchen Wettkampf, wandte er sich der Liebe zu einem regulierten Leben zu.
2. (6) Eo namque anno quo Italia gloriosi Karoli regis ditioni subiecta est[5], cum frater eius incaute fluvium quemdam transfretare vellet et a tumentibus raperetur undis, hic equo sedens periculum conspiciens fratris, sese inter undas precipitem dedit, ut pereuntem ||40|| a periculo redderet extorrem[6], atque natante equo, fratris attigit manum; quem cum tenuit, tentus est; vixque qui eripere morientem voluit mortis evasit periculum. Tunc se voto Deo constrinxit seculo deinceps non militaturum; patriam petit, set hoc patri non patefecit. Quidam autem erat religiosus Widmarus nomine, corporea luce carens, set cordis luce resplendens, cui velle suum ostendit, hisque secretum tenuit et consilium salubre prebuit. ||45|| Preparatis itaque omnibus, iter quasi Aquis iturus arripuit; set ubi sancti Sequani ingressus est domum[7], redire suos ad patriam iubet, seque in eodem coenobio Christo Deo servire velle indicavit. Postulat ingrediendi licentiam; qua adepta, mox capitis comam deposuit et veri monachi abitum sumpsit.   2. (6) Denn in dem Jahr, in dem Italien dem Machtbereich des ruhmreichen Königs Karl unterworfen wurde, wollte sein Bruder unvorsichtig einen Fluss überqueren und wurde von aufschäumenden Wellen fortgerissen. Benedikt saß auf einem Pferd, sah seinen Bruder in Gefahr und begab sich kopfüber in die Wellen, um den Ertrinkenden aus der Gefahr zurückzuholen. Vom schwimmendem Pferd fasste er die Hand des Bruders. Als er ihn festhielt, klammerte sich dieser wiederum an ihn. Und Benedikt, der den Sterbenden retten wollte, entkam selbst kaum der Gefahr des Todes. Daraufhin band er sich mit dem Gelübde an Gott, er werde in Zukunft nicht mehr für die Welt kämpfen. Er kehrte zurück in seine Heimat, aber enthüllte dies nicht seinem Vater. Allerdings zeigte er seinen Willen einem Mönch, Widmar mit Namen, der zwar körperlicher Sehkraft entbehrte, aber mit dem Licht des Herzens strahlte. Dieser wahrte das Geheimnis und gab einen nützlichen Rat. Als alles vorbereitet war, machte er sich eiligst auf den Weg – ganz so, als wolle er nach Aachen gehen – aber sobald er nach Saint Seine gelangte, befahl er den Seinen, in die Heimat zurückzukehren und kündigte an, er wolle Christus in dieser Ordensgemeinschaft dienen. Er erbat die Erlaubnis einzutreten. Als er diese erhalten hatte, schnitt er sich das Haar und legte das Gewand des wahren Mönches an.
(7) Factus vero monachus, incredibili inedia per biennium et sex men||S. 202||sium spatia corpus suum affligere coepit. Sic quippe carni suae acsi cruentae bestiae erat infestus, cybum permodicum sumens, pane videlicet et aqua corpus sustentans, [mortem][8] pocius quam famem arcens, vinum siquidem ceu pestiferum virus devitans. Somnum si quando devictus animus ||f.2'.|| sumere vellet, vili se strato paululum quieturus collocans, aliquando nuda umo prostratus, nimium defessus quievit, ipsa sua se plus requie lassaturus. Sepe ||6|| etiam pervigil in oratione pernoctans, nudis plantis in pavimento glaciali rigore perfusus persistens, in divinis nempe meditationibus ita se totum contulit, ut quam plures continuaret dies sacris psalmodiis deditus, silentii legem non interrumpens. Quiescentibus cunctis, hic eorum calciamenta aquis mundans unguebat eaque locis congruis lota restituebat. Heu proh dolor! quidam veluti illudentes insani prorsus procul posito caligas iactabant, ||11|| quorum vesanam insipitudinem hic altiori consilio bene tranquillus ferebat. In vestitu namque suo tanta se vilitate deiecit, ut vix persuaderi nescientibus veri simile fore possit. Erat itaque vilis ei et pervetusta tunica, quam nonnisi plures exactos mutabat dies. Quapropter copia pediculorum in squalenti surgebat cute, a quibus ieiuniis adtenuata depascebantur membra. Cocullae illi nimia erant vetustate consumptae; et si quando veterescentia ||16|| rumperentur fila, ex dissimili colore foramen patens pannum repertum sarciebat; quae res eum satis reddebat deformem. Quam ob rem a compluribus deridebatur, inpellebatur conspuebaturque; set caelo animus fixus viliora appetens, cum in festis diebus cultioribus se reliqui componerent vestibus, ic sine reverentia coram obtutibus omnium utebatur. ||21|| Balnearum usus per idem tempus suo corpori nunquam indulsit, munditias autem monasterii, quoties opportunitas expetiit, exercuit.   (7) Nachdem er Mönch geworden war, begann er unter unvorstellbarem Hungern, für zwei Jahre und sechs Monate seinen Körper zu züchtigen. So freilich stand er seinem Körper wie einer blutrünstigen Bestie feindlich gegenüber. Er nahm nur wenig Speise zu sich, ernährte seinen Körper mit Brot und Wasser und wehrte den Tod mehr als den Hunger ab. Den Wein mied er wie ein pestbringendes Gift. Wenn er völlig erschöpft etwas schlafen musste, legte er sich auf einer dünnen Decke hin, um ein wenig zu ruhen. Bisweilen ruhte der ganz und gar Erschöpfte, indem er sich auf die nackte Erde niederlegte, damit er durch seine Ruhe selbst noch mehr ermüdet werde. Deshalb verbrachte er oft die Nacht durchgehend wachsam im Gebet, verharrte durch und durch starr mit nackten Füßen auf dem eisigen Boden und gab sich so ganz göttlichen Meditationen hin, dass er mehrere Tage fortfuhr, heilige Psalmen zu singen, ohne das Gesetz des Schweigens zu brechen. Während die anderen ruhten, reinigte er ihr Schuhwerk mit Wasser und fettete es ein und stellte es geputzt wieder zurück. Aber ach! Einige, mit einem Wort Wahnsinnige, verspotteten ihn zum Beispiel und warfen Stiefel nach ihm, der abseits stand. Ihren unsinnigen Unverstand ertrug er als Ruhiger gut mit einer tiefen Einsicht. Bei seiner Kleidung war er dermaßen nachlässig, dass die, die es nicht wussten, kaum davon überzeugt werden konnten, dass es wirklich so war. Er hatte eine wertlose und sehr alte Tunica, die er erst nach vielen Tagen wechselte. Deswegen wuchs eine Menge von Läusen auf seiner schmutzigen Haut heran, die den von den Fastenzeiten mageren Körper abweideten. Er hatte abgenutzte Kukullen von extrem hohem Alter. Und wenn jemals die alten Fäden rissen, ersetzte irgendein gefundener Flicken mit anderer Farbe das offene Loch. Dies gab ihm ein entstelltes Aussehen. Deswegen wurde er von vielen ausgelacht, herumgestoßen und angespuckt. Aber seine auf den Himmel gerichtete Seele verlangte nach geringerem. Während die übrigen an Festtagen feinere Kleidung anzogen, benutzte er ohne Achtung vor den Blicken aller (diese geflickten Kleider). Er gönnte seinem Körper in dieser Zeit niemals ein Bad; für die Sauberkeit des Klosters aber sorgte er, so oft sich Gelegenheit dazu bot.
(8) Compunctionis gratia, ope divina concedente, tanta ei largita est, ut quoties vellet fleret. Cotidie lacrimis, cotidie gemitu ob geennae metum alebatur, illud Davidicum amabiliter canens: Cinerem sicut panem mandui et poculum meum cum fletu miscebam.[9] Pallebant ora ieiuniis, et macie exausta carne, pellis ossibus inherebat hac in modum pallearia[10] bovum rugata pendebat[11]. Hoc ||26|| modo tenerum quasi indomitum animal non tam mansuefaciens quam, ut ita dicam, mortificans corpus, cum cogeretur ab abbate parcius erga semet exercere rigorem, adsensum minime prebuit. Regulam quoque beati Benedicti tironibus seu infirmis positam fore contestans, ad beati Basilii[12] dicta necnon et beati Pacomii[13] regulam scandere nitens, quamvis exiguis possibilia gereret, iugiter inpossibiliora rimabat. His se poenitentiae lamentis preli||31||bans, quoniam inimitabilis erat vel nullis vel paucis, coopitulante[14] gratia divina, ut multorum fieret documentum salutis, in amorem prefati viri Benedicti regulae accenditur, et veluti de singulari certamine novus atleta ad campum publice pugnaturus accessit. Interea coepit aliorum corrigere mores, neglegentes arguere, exortare tyrones, ut proficerent ammonere probos, ut corrigerentur increpare inprobos[15].   (8) Die Gnade der Zerknirschtheit wurde ihm durch göttliche Kraft so sehr geschenkt, dass er, so oft er wollte, weinen konnte. Täglich nährte er sich durch Tränen und Seufzen aus Furcht vor der Hölle, wenn er mit Hingabe jenen Psalm Davids sang: Asche aß ich wie Brot und meinen Trank mischte ich mit Tränen. Seine Wangen waren blass durch das Fasten; und weil sein Fleisch durch Magerkeit erschöpft war, hing die Haut an den Knochen, sie hing wie die faltige Wamme von Rindern. Auf diese Weise zähmte er seinen Körper nicht gerade wie ein junges, gleichsam ungestümes Tier, sondern marterte ihn vielmehr, um es so zu sagen. Als er vom Abt angehalten wurde, er solle etwas weniger hart mit sich umgehen, stimmte er damit in keinster Weise überein. Er erklärte, dass die Regel des seligen Benedikt für Anfänger oder Schwächlinge gemacht sei und strebte nach den Höhen der Worte des seligen Basilius, oder auch der Regel des seligen Pachomius. Obwohl diese für Geringe Mögliches beinhalten mochte, erforschte er fortwährend Unmöglicheres. Er weihte sich mit diesen Wehklagen ganz der Buße, und war für niemanden oder nur für wenige, denen göttliche Gnade half, nachzuahmen. Um ein Vorbild des Heiles für viele zu werden, entflammte er in der Liebe für die Regel des genannten Mannes Benedikt. Und gleich einem neuen Athleten nach einem Einzelkampf betrat er das Feld, um öffentlich zu streiten. Und so begann er die Verhaltensformen der anderen zu berichtigen, die Unwissenden zu widerlegen, die Anfänger zu ermuntern, die Tüchtigen zu ermahnen, damit sie Fortschritte machten, und die Nachlässigen zu schelten, damit sie sich korrigierten.
(9) Iniungitur ei post haec custodiendum cella||36||rium[16]; quo memoriae regulam prefati patris commendavit, ||f.3|| et iuxta preceptum illius totis viribus sese componere ac licita petentibus sine mora studebat largire, male petentibus denegare, inpossibilia exquirentibus blande excusare. Et quoniam pro libita voluntate eis pocula non prebebat, aequis obtutibus a conpluribus non intuebatur. Hospitum, infantum pauperumque omni sagacitate curam gerebat. Abbas quoque eum[17] summo colebat affectu, ||41|| eo quod esset in omnibus utilis[18], et suae vitae cautus, aliorum salute sollicitus et circa ministerium frequens, in loquendo rarus, ad obediendum promptissimus, in monendo affabilis. Contulerat siquidem illi divina pietas inter alias quam plures virtutes etiam intelligentiae donum, eloquentiae spiritalis copiam.   (9) Sodann wurde ihm die Aufsicht über den Keller auferlegt; dort gab er sich der Verinnerlichung der Regel besagten Vaters hin und bemühte sich, sich mit all seinen Kräften nach dessen Gebot einzurichten und ohne Verzug denjenigen, die nach Rechtmäßigem strebten, zu schenken, denjenigen, die nach Schlechtem strebten, zu verweigern und denjenigen, die nach Unmöglichem strebten, milde zu entschuldigen. Und da er ihnen nach ihrem Belieben keine Getränke gab, wurde er von etlichen mit unbilligen Blicken betrachtet. Mit aller Gewissenhaftigkeit sorgte er für Gäste, Kinder und Arme. Der Abt war ihm in höchstem Maße zugetan, denn er war für alles zu gebrauchen, in seiner Lebensführung umsichtig, um das Heil der anderen besorgt und zum Dienen zur Stelle, er war maßvoll im Sprechen, äußerst bereitwillig zum Gehorsam und leutselig beim Mahnen. Die göttliche Frömmigkeit hatte ihm freilich neben so vielen anderen Tugenden auch das Geschenk des Verstehens und eine Menge geistlicher Beredtsamkeit gegeben.
3. (10) Decursa quinquennii et octo mensium in salutiferis rebus spatia[19], abbas prefati ||46|| monasterii migravit e seculo[20]. Tunc omnes uno animo parique consensu Benedictum sibi preferri obtant. At ille suis illorumque non convenire moribus cernens, ad patrium concitus solum contulit pedem, ibique in patris suamque possessionem super rivulum cui ||S. 203|| nomen est Anianus necnon prope fluvium Arauris cum prefato viro Witmaro[21] paucisve aliis iuxta beati Saturnini permodicam aecclesiam cellam exiguam ob abitandum construxit. Quo in loco nonnullos annos magna cum penuria vixit, noctibus diebusque cum gemitu et lacrimis clementiam implorans divinam, ut velle suum effectum proveheret ||5|| efficacissimum. Erant autem per idem tempus in provincia illa quidam summae sanctitatis strenui viri, Atilio[22] videlicet et Nibridius[23] necnon et Anianus, religiose degentes, sed regularem ignorantes custodiam. A quibus compertus non modice diligebatur. Siquidem dum eum aliqua adversa impulsio paululum superare temptaret, mox strato asello, ad Atilionem, qui ei vicinior erat, propere festinabat.   3. (10) Nachdem er einen Zeitraum von fünf Jahren und acht Monaten mit heilbringenden Dingen verbracht hatte, schied der Abt besagten Klosters aus der Welt. Daraufhin wünschten alle einmütig und mit voller Übereinstimmung, dass ihnen Benedikt [als Abt] vorgesetzt werde. Aber als jener merkte, dass sein und deren Verhalten nicht in Übereinstimmung standen, begab er sich unverzüglich in sein väterliches Land und erbaute dort auf seines Vaters und seinem eigenen Besitz an dem Flüsschen namens Aniane und in der Nähe des Flusses Hérault zusammen mit besagtem Widmar und wenigen anderen bei der ziemlichen kleinen Kirche des seligen Saturninus eine kleine Zelle, um dort zu wohnen. An diesem Ort lebte er einige Jahre in großer Armseligkeit und flehte nachts und tags mit Seufzen und Tränen die göttliche Milde an, dass sein Wunsch [doch] eine überaus breite Wirkung erzielen möge. Es gab zu der Zeit in diesem Gebiet einige tatkräftige Männer von höchster Heiligkeit, nämlich Atilio, Nibridius und Anianus, die zwar ein frommes Leben führten, aber die Beachtung einer Regel nicht kannten. Nachdem diese ihn genau kennengelernt hatten, wurde er von ihnen nicht wenig geliebt. Und wenn ihn schwere Anfechtungen vorübergehend zu überwältigen drohten, sattelte er seinen Esel und eilte daraufhin schnell zu Atilio, der ihm am nächsten wohnte.
(11) Primo siquidem tempore ardenti animo perplures, ||10|| seculum relictum[24], cum eo religiose vivere tentabant; sed fracti animo, novum formidantes genus vitae, dum inauditam cogebantur arripere abstinentiae viam, ut panem in pondere vinumque in mensura perciperent[25], mox ut sues ad coenum canisque ad vomitum[26] in calle salutis positum retraebant pedem. Quorum instabilem vir Dei intuens fidem, turbatus ad proprium voluit redire coenobium. Qua de causa consulendum prefatum adiit virum. ||15|| Cui cum velle suum narrasset, increpavit eum ille, dicens, sibi esse ostensum[27] caelitus, lucernam illum datum hominibus[28]. Quapropter coeptum constanter oporteret implere bonum[29]; fraude hoc antiqui fieri hostis, qui semper invidens bonis infestus est actibus; cui adsensum prebendum est numquam; sicque eius consilio amminiculatus, intrepide adgressus est quod ardenti perficere optabat animo; non super alienum fundamentum aedificans[30], sed novo ||20|| opere construere domos coepit ignotamque salutis pandere[31] curabat viam.   (11) Anfangs versuchten es mit glühendem Herzen freilich sehr viele, nach Verlassen der Welt mit ihm zusammen in frommer Weise zu leben; aber sie fürchteten sich mit schwachem Herzen vor dieser neuen Art der Lebensführung, da sie gezwungen wurden, einen [bisher] unbekannten Weg der Enthaltsamkeit zu beschreiten, indem sie nämlich Brot nach Gewicht und Wein nach Maß erhielten, und bald zogen sie ihren Fuß, den sie auf den Weg zum Heil gesetzt hatten, zurück wie die Säue zu ihrem Kot und die Hunde zu ihrem Erbrochenen. Als der Mann Gottes deren unsteten Glauben bemerkte, wollte er erregt in sein eigenes Kloster zurückkehren. Aus diesem Grund ging er zu besagtem Mann, um ihn um Rat zu fragen. Nachdem er ihm von seinem Wunsch erzählt hatte, schimpfte er ihn und sagte, ihm sei vom Himmel bedeutet worden, dass er den Menschen als Leuchte gegeben worden sei. Deshalb sei es unumgänglich, das [einmal] begonnene gute Werk hartnäckig umzusetzten; dies [seine Verwirrung] geschehe aufgrund des Betrugs des alten Feindes, der stets missgünstig und den guten Taten feindlich gesinnt sei; diesem dürfe man niemals zustimmen; durch dessen Rat ermutigt nahm er also unerschrocken in Angriff, was er mit glühendem Herzen auszuführen wünschte; er baute [dabei] nicht auf einem fremden Fundament, sondern begann in neuerlicher Anstrengung Häuser zu errichten und bemühte sich, diesen unbekannten Weg zum Heil zu eröffnen.
4. (12) Igitur venerabilis vir Benedictus cum paucis sibi adgregatis fratribus, qui, eius compertam opinionem[32], ad eum confluxerant, in iam memoratum locum coepit florere in religione pia et caeleste iter volentibus pandere[33] gratis, propriis laborare manibus; et ne aliis predicans ipse ||f.3'.|| reprobus[34] inveniretur quae sequenda monebat prior implere curabat. Non ||25|| enim perterritus inopia coeptum deseruit opus; set, ut ait apostolus, in fame et siti, in frigore et nuditate[35] positus, ortabatur inconcusso subiectos persistere corde, docens artam et angustam viam esse quae ducit ad vitam[36], et non esse condignas passiones huius temporis ad futuram gloriam, quae revelanda[37] est sanctis. Quo documento roborati, maioribus se atteri obtabant laboribus. Nulla eis tunc erat possessio, non vineae, non pecora, non equites; unus ||30|| tantum erat asellus, cuius solamine, cum alicubi pergendum esset, vicissim fratrum arcebatur defectio. Vinum tantum diebus dominicis solemnibusque percipiebant. Pellebatur aliquoties eorum esuries lacte delatum[38] a vicinis mulieribus, quoniam ariditate tabuerant corpora eorum, solo viventes[39] pane et aqua. Quapropter, [ut] inpigrum depellerent frigus, lectaria utebantur, cum in vigiliis divinis adsisterent. Erant quippe pauperes rebus, pre||35||divites meritis; et quo eorum adterebantur inopia corpora, eo magis saginabantur virtutibus animae. Aestuabant siquidem amore caelesti, solaeque lacrimae illis in angustia ferebant solamen. Quorum invictam fraternam unitatem hostis cernens anticus, ac eam scindere arte molitur.   4. (12) Daher begann der verehrungswürdige Mann Benedikt zusammen mit wenigen Brüdern, die sich ihm angeschlossen hatten und ihm zugeströmt waren, nachdem sie mit seiner Meinung bekannt geworden waren, an dem schon erwähnten Ort in frommer Gläubigkeit zu erblühen und denen, die es wünschten, unentgeltlich den himmlischen Weg zu eröffnen sowie mit den eignenen Händen zu arbeiten; und damit er nicht, während er anderen predigte, selbst für schlecht befunden werde, bemühte er sich zunächst das zu erfüllen, was er zu befolgen gemahnte. Das [einmal] begonnene Werk gab er, etwa durch die Not eingeschüchtert, nicht auf; aber, wie der Apostel sagt, im Zustand von Hunger und Durst, Kälte und Nacktheit mahnte er seine Untergebenen, mit unerschütterlichem Herzen durchzuhalten, und lehrte sie, dass der Weg, der zum Leben führt, eng und schmal sei und die Leiden dieser Zeit dem zukünftigen Ruhm unwürdig, der den Heiligen offenbart werde. Durch dieses Beispiel gestärkt, wünschten sie sich mit noch größeren Anstrengungen zu schwächen. Sie hatten damals keinen Besitz, keine Weinberge, kein Vieh, keine Pferde; es gab nur einen kleinen Esel, mit dessen Hilfe die Erschöpfung der Brüder abwechselnd in Grenzen gehalten wurde, wenn sie reisen mussten. Wein tranken sie nur an Sonn- und Festtagen. Einige Male wurde ihr Hunger durch Milch gelindert, die von benachbarten Frauen gebracht wurde, weil ihre Körper durch Austrocknung dahinschwanden, indem sie nur von Brot und Wasser lebten. Um die beißende Kälte zu vertreiben, benutzten sie Decken, während sie die göttlichen Vigilien feierten. Sie waren freilich arm an Besitz, aber überreich an Verdiensten; und je mehr ihr Körper sich durch die Not erschöpfte, desto mehr zeichneten sie sich mit Tugenden der Seele aus. Sie glühten nämlich vor himmlischer Liebe, und nur Tränen brachten ihnen Trost in ihrer Abgeschiedenheit. Als der alte Feind nun ihre unbesiegte brüderliche Einheit bemerkte, suchte er sie mit [aller] Kraft zu zerreißen.
(13) Unum eis erat circa molinum, in quo quae habere poterant molebant cybaria. Instigatus autem malignis cogitationibus quadam eis nocte ospes advenit, quem iuxta posse refectum in strato aselli collocant.[40] ||40|| At ille male vigil, quiescentibus illis, surrexit, et secum in quo iacuerat perferens situlamque de qua auserat aquam, set et ferramenta molini non oblitus, abscessit, pro bonis mala rependens. In crastinum vero damnum compertum magistro discipuli narrant; quos benivole ferre inlatas contumelias docuit damnaque lucra putare, illique pocius dolendum adseverans, qui, dum nisus est adquirere lucrum, perdidit fidem.[41]   (13) In der Nähe hatten sie eine Mühle, in der sie das Getreide, das sie haben konnten, mahlten. Eines Nachts aber kam, von böswilligen Absichten angestachelt, ein Gast zu ihnen, dem sie nach ihrem Vermögen im Stall des Esels ein Lager herrichteten. Dieser aber blieb bösartig wach, erhob sich, während sie schliefen, und entfernte sich, indem er das, worauf er gelegen hatte, und den Eimer, aus dem er Wasser geschöpft hatte, mitnahm und auch die Geräte für die Mühle nicht vergaß; und so vergalt er das Gute mit Schlechtem. Am Morgen aber berichteten die Schüler ihrem Meister von dem bemerkten Schaden; dieser lehrte sie jedoch, die zugefügten Unbilden wohlwollend zu ertragen und den Schaden als Gewinn zu betrachten, und er behauptete fest, dass sie eher für denjenigen Schmerz empfinden sollten, der seinen Glauben zugrunderichtete, indem er nach Gewinn trachtete.
5. (14) Coepit interea paulatim turba discipulorum crescere, et fama piae religionis sensim ||45|| per circa habitantium ora volitare seseque extendens ad longe posita decurrere loca. Et quoniam vallis, in qua primum insederat, perangusta erat, paululum extra confinia eius monasterium novo opere construere coepit, laborantibusque fratribus ipse aliquando conlaborare, aliquando autem eorum ad vescendum dequoquere victum librumque etiam pariter circa coquina occupatus scribere satagebat. Lignamina vero sepe propter penuriam ||S. 204|| bovum humeris propriis cum discipulis deferebat. Domus enim in eo erat loco quo fundare moliebantur monasterium, quam auctam in honore sanctae Dei genitricis consecrarunt Mariae. Concurrentibus undique et illius se certatim subicere magisterio postulantibus, et fabrica monasterii cito perficitur, et in rebus locus ditatus augmentatur, dantibus singulis quae habere poterant. Non enim ornatis parietibus tegulisque rubentibus vel pictis laque||6||aribus, set stramine vilique maceria cooperire vel facere domos decreverat.[42] Licet enim multiplex numerus fratrum augeretur, ille semper viliora et umiliora appetebat. Quapropter, si quis possessionibus suis aliquid conferre monasterio vellet, suscipiebat; sin vero servos ancillasque copulari niteretur, refugiebat, nec passus est quemquam ||f.4.|| per idem tempus per cartam monasterio tradi, set, ut fierent liberi, imperabat. Vasa autem ad Christi ||11|| conficiendum corpus nolebat sibi esse argentea; siquidem primum ei fuerunt lignea, deinceps vitrea; sic tandem conscendit ad stagnea.[43] Planetam vero refutabat habere seritiam; et si aliquis illi dedisset, mox aliis ad utendum prestabat.   5. (14) Inzwischen fing die Schar der Schüler an, nach und nach zu wachsen, und der Ruf der frommen Lebensweise fing allmählich an, durch die in der Nähe Wohnenden sich in Windes Eile zu verbreiten und, drang dadurch in weit entfernt gelegene Orte. Und weil das Tal, in dem er sich zuerst niedergelassen hatte, sehr eng war, fing er an, außerhalb seiner Grenzen mit neuer Mühe ein kleines Kloster zu errichten. Und er bemühte sich, manchmal mit den arbeitenden Brüdern zusammenzuarbeiten, manchmal auch Speisen für sie zum Essen zu kochen, und ebenso war er beschäftigt in der Nähe der Küche auch ein Buch zu schreiben. Oft genug trug er wegen des Mangels an Ochsen Holz auf seinen eigenen Schultern mit seinen Schülern. Es war nämlich ein Haus auf diesem Platz, auf dem sie beabsichtigten, das Kloster zu gründen. Dieses vergrößerten sie und weihten es zu Ehren der heiligen Gottesgebärerin Maria. Von allen Seiten eilten sie herbei und wünschten, sich wetteifernd seiner Leitung zu unterwerfen. Dadurch wurde auch der Bau des Klosters schnell vollendet. Und der Ort wurde – reich an Dingen – vergrößert, denn jeder einzelne gab, was er hatte. Er entschied nämlich, das Haus nicht mit geschmückten Wänden und roten Dachziegeln oder bemalter Täfelung zu bedecken oder zu machen, sondern mit einer Lehmmauer – aus Stroh und billig. Wenn auch die Zahl der Brüder wuchs und wuchs, verlangte jener immer Ärmlicheres und Niedrigeres. Deshalb nahm er es an, wenn irgendjemand dem Kloster etwas aus seinem Besitz überlassen wollte. Wenn jemand freilich Sklaven oder Mägde [dem Kloster] abtreten wollte, lehnte er es ab, denn er litt es nicht, dass in dieser Zeit irgendjemand dem Kloster urkundlich übereignet werde, sondern er befahl, sie freizulassen. Er wollte aber für sich nicht, dass die Gefäße, um den Leib Christi aufzubewahren, silbern seien; also hatte er zunächst ein hölzernes, dann ein gläsernes, endlich ein zinnernes. Er weigerte sich auch, ein seidenes Meßgewand zu haben; und wenn jemand ihm eines gegeben hätte, so hätte er es bald einem anderen zur Verfügung gestellt.
6. (15) Preterea surrexerunt in regione eadem vel circumquaque nonnulli viri religiosi hedificantes monasteria adgregantesque monachos seseque ad exemplum beati viri exer||16||citantes, et ex eius magisterio imbuti, vitam pristinam priscosque amputantes errores; quibus ipse ut pater erat subsidium opemque ferens non spiritalium solummodo rerum, verum et corporalium. Quos sepe visitans ortabatur, coeptum non deserere opus, ne egestate perculsus terroribusque adtritus retro respiceret animus. Sicque documento salubri fulta numerosa adsunt coenobia, et maxima monachorum extat multitudo.   6. (15) Inzwischen traten in dieser Gegend oder in der Umgebung einige religiöse Männer auf den Plan, errichteten Klöster und scharten Mönche um sich und sie übten sich nach dem Beispiel des heiligen Mannes, und beseitigten unter seiner Leitung ihr voriges Leben und ihre früheren Fehler; diesen war er selbst wie ein Vater, er unterstützte sie und brachte Hilfe, nicht nur in geistlichen Dingen, sondern auch in körperlichen. Er besuchte sie oft und ermunterte sie, das angefangene Werk nicht im Stich zu lassen, dass sie in ihrem Herzen nicht zurückblicken, zerschlagen von Armut und geschwächt von Schrecken. Und so durch ein heilbringendes Beispiel unterstützt, waren da zahlreiche Klöster, und die Menge der Mönche war sehr groß.
7. (16) Orta autem fame gravissima per idem tempus[44], coepit multitudo pauperum, viduarum, pupillorum ad eum confluere ac portas monasterii viasque stipare. Quos ille intuens inedia tabidos, immo ipsa iam pene morte glutitos, angebatur, quoniam, unde tantam pasceret multitudinem, ignorabat.[45] Sed quia nichil deest timentibus Deum[46], quousque fruges adtingerent novas, quae fratribus sufficere possint seorsum iussit reponi, cetera per ||26|| constitutos fratres per singulos dies precepit largire. Carnes etiam armentorum oviumque dabantur per singulos dies, lac etiam berbicum[47] prebebat auxilium. Siquidem fecerant sibi tuguria congruis locis, in quibus usque ad novas habitarunt fruges. Deficiente cibaria[48], rursus ea quae in fratrum reponi iusserat usus mensurare precepit; quod factum est ter. In fratribus vero animis[49] tantus inerat affectus misericordiae, ut libenter etiam impenderent, ||31|| si fas esset, cuncta. Nam quae sibi subtrahere poterat quisque clam deferebat inedia consumptis; sicque vix erepti a famis fuere periculum. Aliquoties enim in ore panem habens mortuus reperiebatur.   7. (16) Es gab aber in dieser Zeit eine fürchterliche Hungersnot, viele der Armen, der Witwen und der Waisen fingen an, zu ihm zusammenzuströmen und die Pforten des Klosters und die Wege zu verstopfen. Als er jene, wie sie vom Hungern verzehrten, ja vielmehr schon fast vom Tod selbst verschlungenen sah, wurde er bedrückt, denn er wusste nicht, woher er eine so große Menge ernähren sollte. Aber weil denen, die Gott fürchten nichts fehlt, ließ er, bis sie neue Früchte ernteten, was den Brüdern genügen könnte, abgesondert zurückzulegen, dann ordnete er an, den Rest durch Brüder, die für jeden einzelnen Tag festgelegt wurden, zu verschenken. Sogar Fleisch von Vieh und Schafen wurde jeden einzelnen Tag gegeben, sogar Milch von Hammeln gewährte Hilfe. Also machten sie sich Hütten an geeigneten Orten, in denen sie bis zur neuen Ernte wohnten. Als der Speisevorrat ausging, schrieb er vor das, was er befohlen hatte, zum Gebrauch der Brüder zurückzulegen, neu aufzuteilen; dies wurde dreimal gemacht. In den Seelen der Brüder war freilich das Gefühl der Barmherzigkeit so groß, dass sie auch gern alles hergegeben hätten, wenn es erlaubt gewesen wäre. Denn was jeder sich entziehen konnte, brachte er heimlich denen, die von Hunger erschöpft waren; und so wurden sie kaum der Gefahr des Verhungerns entrissen. Mehrmals wurde sogar jemand tot aufgefunden, der Brot im Mund hatte.
8. (17) Nec illum silendum puto, quia, cum pene provintiam illam eodem tempore perversum Feliciani invaserit dogma[50], ic ab omni pestifero perfidiae errore inlaesus ope divina ||36|| intus evasit multosque, non solum infimos, verum etiam presules aecclesiae, suo eripuit studio et adversus nefandum dogma veris disputationum iaculis armatus sepe congressus est. (18) Erat enim eo tempore et numerosa iam turba fratrum et in fervore perpetuae vitae succensa. Certabant siquidem, quis eorum esset umilior quisve in obedientia promptior, in abstinentia ardentior, in vigiliis anterior, in loquendo posterior, in vestitu vilior, in ||41|| karitate ferventior[51]; quibusdam etiam revelationes fiebant.   8. (17) Ich glaube, dass nicht verschwiegen werden darf, dass etwa zur gleichen Zeit in jene Provinz der widersinnige Lehrsatz des Felix eindrang. Er [Benedikt] blieb mit göttlicher Hilfe im Inneren frei von dieser pestbringenden Irrlehre; viele, und nicht nur die Geringsten, sondern auch die Bischöfe der Kirche entriss er durch seinen Eifer [dieser Haeresie], und er stritt oft gegen den gottlosen Lehrsatz mit scharfen Argumenten. (18) Es gab sogar in dieser Zeit eine schon zahlreiche Schar Brüder, die in Leidenschaft für das ewige Leben entbrannt waren. Sie wetteiferten freilich, wer von ihnen niedriger sei oder wer beim Gehorsam bereitwilliger, in der Enthaltsamkeit leidenschaftlicher, beim Wachen früher, beim Reden später, bei der Kleidung bescheidener, bei der Nächstenliebe glühender; gewissen geschahen auch Offenbarungen.
9. Quidam namque erat frater, qui iuxta umanam honestatem minus erat compositus, quem neglegenter incedentem dum pater perspiceret, in animo eandem rusticitatem iudicare coepit. Hic autem in hestasy ductus, gregem columbarum adgregatum cernens, quaedam mirae candoris[52] fulgentes, quaedam vero erant mira varietate distinctae, quaedam autem solo capite tetro[53] colorem gestabant. Qui cum ||46|| sciscitasset, quid hoc esset, dicta sunt nomina singulorum, quorum aut neglegentia fecerat nigros aut studium splendore nitentes. His rediens ad se, patri quae viderat retulit eumque, ne se despiceret, ammonuit. At ille singulorum acta discutiens, mentes fratrum, ||f.4'.|| de quibus a fratre didicerat, turbatas repperiens, et benignum malagma castigationis inpositum, ad congruam formam instituit.||S. 205||   9. Da war nämlich ein gewisser Bruder, der nach menschlichen Maßstäben unansehnlich war. Als der Vater diesen einmal nachlässig einherschreiten sah, gab es ihm Anlass, in dessen Geist die gleiche Plumpheit zu vermuten. Als dieser in Ekstase geriet, sah er einen dichten Schwarm Tauben. Einige schimmerten wunderbar weiß, einige waren tatsächlich in wunderbarer Buntheit verschieden gefärbt, einige aber trugen nur am Kopf eine widerliche Farbe. Als er eifrig nachgefragt hatte, was das bedeuten sollte, wurden die Namen der einzelnen genannt, die entweder die Nachlässigkeit schwarz gemacht hatte oder der Eifer die sich Bemühenden glänzend. Als er zu sich selbst zurückkehrte, teilte er dem Vater mit, was er gesehen hatte, und mahnte ihn, ihn nicht zu verachten. Aber als jener die Taten der einzelnen prüfte, fand er die Geister der Brüder, deren Namen er von dem Bruder erfahren hatte, verwirrt auf, und indem er sie milde tadelte, wies er sie zur passenden Lebensführung an.
10. (19) Set antiquus hostis aegre ferens unitatem [et] augmentum boni gregis, nisus est quorundam concutere corda, ut bonum institutorem a proprio ovile redderet extorrem. Plures quidem sua arte a monasterio pepulit pluresque turbavit, set paratam tribulationibus non valuit concutere mentem, confractas rursum recuperat perituras vires. Sibi sub||5||iectos instigat, inferre damna imperat, equos bovesque furtim patenterque auferri iubet. Set qui Deum cunctis preposuerat rebus sine dolore amittit quae sine amore possidebat. Certe pro nulla amissa re unquam eum quisquam vidit commotum, perditam nunquam repetiit, furatam numquam quaesivit, furanti, si captus est, beneficium prestitit, latenter, ne caperetur, dimisit.   10. (19) Aber der alte Feind ertrug die Einigkeit [und] das Wachstum der guten Herde kaum. Er bemühte sich, die Herzen einiger zu erschüttern, auf dass der gute Hirte seiner eigenen Schafherde entfremdet werde. Zwar vertrieb er mehrere durch seine Hinterlist aus dem Kloster und viele verstörte er. Aber den auf Anfechtungen vorbereiteten Geist vermochte er nicht zu erschüttern, seine schon gebrochenen und dem Untergang geweihten Kräfte erlangte er allerdings wieder. Er trieb die ihm Unterworfenen an, er hieß sie Schaden anzurichten, er befahl, Pferde und Rinder heimlich und offen zu rauben. Aber der, der Gott vor alle Dinge gesetzt hatte, verlor ohne Schmerz, was er ohne Liebe besaß. Und so sah ihn niemand jemals erregt wegen einer verlorenen Sache, Verlorenes holte er nie zurück, Gestohlenes suchte er niemals. Wenn ein Dieb gefangen wurde, gewährte er ihm Gnade und entließ ihn heimlich, damit er nicht wieder gefangen werde.
||10|| 11. Quidam vero, cum equites[54] monasterii furtim auferret, a vicinis non sine vulnere captus et patri est presentatus. Cui ille inpensas prebuit, medicum instituit, sanatum incolumem direxit. Contigit autem vice alia, cum venerabilis pater iter conficeret, alio secum comitante fratre, quemdam equum a monasterio sublatum sedentem obviare. Frater vero curiosis luminibus intuens eum qui furatus fuerat esse cognovit, mox voce prorupit, monasterii esse equum. At ille silere eum iubet. "Sepe ||15||similare equus equum solet", ait. Seorsum autem increpavit in fratrem, dicens: "Et ego agnovi; set melius silendum censeo, quam verecundiam inferamus."   11. Ein gewisser freilich wurde, als er heimlich Pferde des Klosters raubte, von Nachbarn gefangen, nicht ohne ihn zu verwunden, und er wurde dem Vater vorgeführt. Dieser ersetzte ihm die Kosten, setzte einen Arzt ein und sandte ihn unversehrt und geheilt wieder fort. Es geschah aber ein anderes Mal, als der ehrwürdige Vater unterwegs war und ein anderer Bruder ihn begleitete, begegneten sie irgendjemandem, der hoch auf einem Pferd vom Kloster saß. Der Bruder freilich sah es mit neugierigen Augen an und erkannte, dass es gestohlen worden war. Alsbald rief er mit lauter Stimme, dass es ein Pferd des Klosters sei. Er aber befahl jenem zu schweigen. "Oft pflegt ein Pferd einem Pferd zu gleichen", sagte er. Als sie wieder allein waren, tadelte er den Bruder und sagte: "Auch ich habe es wiedererkannt; aber ich meine, dass es besser ist, zu schweigen als jemanden zu beschämen."

Anmerkungen

[1] Benedicts Geburtsjahr wird allgemein mit etwa 750 angesetzt.

[2] Vgl. die ähnliche Wendung weiter unten in Kapitel 2.

[3] Waitz hat S. 201, 26 cum laborem in den Text gesetzt, obwohl dies in der leitenden Handschrift des Cartulare Anianense zu labore korrigiert worden ist, vgl. MGH S. 15, 1 S. 201 nota v). Die Stelle kann deshalb kaum als Beleg für Ardos Latein herangezogen werden, anders Rädle, Smaragd S. 25 (unter der Rubrik: "Syntaktische Fehler").

[4] Akkusativus absolutus, Rädle, Smaragd S. 85.

[5] 774.

[6] Vgl. Löfstedt, Zu Ardos Vita S. Benedicti S. 179 zum Gebrauch von extorris in diesem Kontext.

[7] Saint-Seine bei Dijon.

[8] mortem fehlt MGH SS 15, 1 S. 202 Z. 2, vgl. aber Nota b).

[9] Ps. 101, 10.

[10] Vgl. Löfstedt, Zu Ardos Vita Benedicti S. 179: "Hier wird in modum mit dem Nom. kontruiert, und zwar nach Analogie von quasi u. dgl.; ich kenne keine weiteren Belege für diese Konstruktion".

[11] Zur Konstruktion von in modum mit Nominativ vgl. Löfstedt, Zu Ardos Vita S. Benedicti S. 179.

[12] Basilius von Caesarea (ca. 329–379), Kirchenpolitiker und Theologe, Asket und Vater des griechischen Mönchtums, unter anderem Verfasser zweier Mönchsregeln, die auch im Westen rezipiert wurden und z. B. in die Regula Benedicti einflossen. Vgl. W.-D. Hauschild, Basilius von Caesarea, TRE 5 (1979) S. 301–313.

[13] Pachomius (ca. 292–346/347) war agyptischer Eremit, Gründer eines Klosterverbandes und Verfasser der ältesten christlichen Mönchsregel. Vgl. K. S. Frank, Pachomios, LexMA 6 (1993) Sp. 1607.

[14] Vgl. RB 2, 25.

[15] Die Verwendung von coopitulare wird von Löfstedt, Zu Ardos Vita S. Benedicti S. 179 als „ungewöhnlich“ bezeichnet.

[16] Die in der Vita folgenden Ausführungen über Benedikts Amtsführung sind zum Teil wörtliche Anklänge an RB 31. Der Cellerar hat ein weites und wichtiges Aufgabenfeld, zu dem unter anderem die Organisation und Verteilung der Arbeit an die Brüder sowie die Verteilung von Speisen und Kleidung, aber auch der Verkauf im Kloster gefertigter Ware und die Verwaltung der Einnahmen des Klosters gehört. Die Benediktsregel stellt deshalb hohe Anforderungen an den Cellerar: Er soll unter anderem sapiens, maturis moribus, sobrius sein und weiterhin soll er omni congregationi [...] sicut pater sein. (RB 31) Vgl. J. Semmler, Cell(er)arius, in: LexMa 2 Sp. 1607 f.

[17] eum fehlt im Chartular von Aniane.

[18] Vgl. die ähnliche Wendung oben Kapitel 1.

[19] Decursa ... spatia Akkusativus Absolutus (Rädle, Smaragd S. 85). Im Chartular von Aniane steht Decurso ... spatio.

[20] Etwa im Frühjahr 780. So auch Cabaniss, The Life of Saint Benedict S. 221 Anm. 17 und Bonnerue S. 59 Anm. 32.

[21] Vgl. oben Kapitel 1 die erste Erwähnung Widmars als Ratgeber.

[22] Vgl. DHGE 5 (1931) Sp. 174f.

[23] Vgl. Duchesne, Fastes Episcopaux 1 (1907) S. 305.

[24] Accusativus Absolutus (Rädle, Smaragd S. 85).

[25] Vgl. RB 39 (De mensura ciborum) und RB 40 (De mensura potus).

[26] 2 Petr. 2, 22.

[27] sibi esse ostensum: Rädle, Smaragd S. 86 weißt auf den Wechsel von Accusativus cum Infitivo und Konjunktiv bei abhängiger Rede im Hauptsatz bei Ardo hin.

[28] Vgl. Act. 13, 47.

[29] Vgl. Phil. 1, 6.

[30] Rom. 15, 20.

[31] Das Verb pandere kommt bei Ardo des öfteren vor. Vgl. unten Kapitel 4 und oben die Praefatio.

[32] So von Waitz MGH S. 15, 1 S. 203, 10 in den Text gesetzt, obgleich das Cartulare Anianense hier eine Korrektur aufweist: "corr. seculo relicto 1, et ita 2. 3." (nota f). Es ist deshalb fraglich, ob man diese Stelle als Beleg für den Accusativus absolutus bei Ardo heranziehen kann, so aber Rädle, Smaragd S. 85.

[33] Bei Ardo findet sich pandere mehrfach (vgl. oben Praefatio und Kapitel 3).

[34] 1 Cor. 9, 27.

[35] 2 Cor. 11, 27.

[36] Mt. 7, 14.

[37] Rom. 8, 18.

[38] lacte delatum: Kontamination aus Ablativus Absolutus und Accusativus Absolutus (Rädle, Smaragd S. 85, der die zweite Hälfte des Satzes als „sehr locker und inkongruent“ bezeichnet).

[39] solo viventes: vgl. Löfstedt, Zu Ardos Vita S. Benedicti S. 179.

[40] RB 53 schreibt vor, dass Gäste aufgenommen werden sollen wie Christus. Es soll ihnen Ehre erwiesen werden unter anderem durch gemeinsames Gebet, Friedenskuss und Fußwaschung.

[41] Vgl. Phil. 3, 7.

[42] Später wird Benedikt ganz andere Anforderungen an einen Klosterneubau stellen. Vgl. unten Kapitel 17.

[43] Auch die Gerätschaften können später nicht prunkvoll genug sein. Vgl. unten Kapitel 17.

[44] Es handelt hierbei vermutlich um die große Hungersnot von 793. Zu dieser vgl. Fritz Curschmann, Hungersnöte im Mittelalter. Ein Beitrag zur deutschen Wirtschaftsgeschichte des 8. bis 13. Jahrhunderts (Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte 6, 1, Leipzig 1900).

[45] Vgl. Joh. 6, 5.

[46] Vgl. Ps. 33, 10.

[47] Wörtlich: „Hammel“.

[48] Eigentümliche Verwendung von cibaria, vgl. Rädle, Smaragd S. 85.

[49] So das Cartulare Anianense, bei den anderen Textzeugen korr. zu fratrum, von Rädle, Smaragd S. 85 als "syntaktische(r) Fehler" gewertet.

[50] Bf. Felix von Urgel (gest. 818 in Lyon) war der wichtigste Theologe des spanischen Adoptianismus und trug den Adoptianismusstreit ins Frankenreich; Engels, LexMA 4 (1989) Sp. 342, Schäferdiek, LThK 3 (3. Aufl. 1995) Sp. 1221 f., ders., Der adoptianistische Streit im Rahmen der spanischen Kirchengeschichte, in: ZKG 80 (1969) S. 291–311 und 81 (1970) S. 1–16.

[51] Löfstedt, Zu Ardos Vita S. Benedicti S. 179 führt diese Stelle als Beispiel für Ardos "stilistische Ambitionen" an.

[52] Genusfehler, vgl. Löfstedt, Zu Ardos Vita S. Benedicti S. 179.

[53] Die MGH SS 15, 1 S. 204 Nota z) angegebene Lesart tetrum erscheint sinnvoller.

[54] Im Chartular: equos.


Letzte Bearbeitung: $Date: 2008-10-23 19:52:24 $