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B. Löfstedt, Zu Ardos Vita S. Benedicti, in: Aevum (Rassegna di scienze storiche linguistiche e filologiche) 59 (1985) S. 178–180

Man ist sich jetzt darüber einig, dass Ardo, der den Beinamen „Smaragdus“ hatte, nicht mit jenem Smaragdus von Saint-Mihiel identisch ist, der u. a. die Benediktinerregel kommentiert und einen ausführlichen Donatkommentar verfasst hat. Das einzige erhaltene Werk Ardos dürfte demnach seine Vita S. Benedicti, abbatis Anianensis, sein, die um 821 verfasst wurde. Dieser Text wurde zuletzt von G. Waitz in den MGH, Scriptores 15 S. 198 ff. herausgegeben. Eine neue Edition wäre erwünscht: Die Überlieferung ist schlecht und der von Waitz gedruckte Text mehrfach unverständlich. Auch der Quellenapparat ist zu ergänzen; Waitz hat z. B. nicht die folgenden Zitate erkannt: 206, 26 (Iohannes baptista) quo inter natos mulierum maiorem neminem surrexisse divina attestarunt oracula: Matth. 11, 11; 208, 20 f. omnibus omnia factus est: vgl. 1 Cor. 15, 28. Eine neue kritische Edition würde uns auch die notwendige Grundlage für eine gründlichere Untersuchung der Sprache geben.

Die Urteile über die Latinität von Ardos Vita divergieren sehr. Während der Herausgeber Waitz S. 199 bemerkt: „sermone minus culto usus, nihil fere linguae Latinae studiis Karoli M. tempore florentibus percepisse videtur“, schreibt F. Brunhölzl, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 1 (München 1975), S. 444: „Die Sprache hält das Niveau einer gepflegten, massvoll die Mitte zwischen alltäglicher Rede und rhetorisch aufgeputztem Pomp einhaltenden Prosa“. F. Rädle, Studien zu Smaragd von Saint-Mihiel (München 1974), 84 ff., schliesst sich Waitz’ Urteil an und gibt ein Verzeichnis morphologischer und syntaktischer Fehler, die er in Ardos Vita gefunden hat. Die schlechte Sprache dieses Textes ist nach Rädle ein starkes Argument dafür, dass Ardo mit Smaragdus von Saint-Mihiel nicht identisch ist.

Rädles Untersuchung der Sprache Ardos ist freilich nur skizzenhaft. Um Ardos Lateinkenntnisse etwas sicherer beurteilen zu können, habe ich den Text durchgearbeitet. Die folgenden Beobachtungen seien Rädles Darstellung hinzugefügt.

204, 34 begegnet neutrales illum für illud. – 218, 40 ff. wird visuram (sc. esse) für visum iri gebraucht: epistolae...in quibus testatur faciem suam amplius non visuram; HofmannSzantyr, Lateinische Syntax (München 1965), 289 f., besprechen passivische Verwendung des Part. Fut. in spätlateinischen Texten. Von HofmannSzantyr nicht erwähnt ist dagegen der umgekehrte Gebrauch von formen in -um iri statt -unum esse, der in unserem Texte 211, 27 ff. auftritt: adtestantes, si conspectibus imperatoris adsisterit, patriam ultra non visum iri: hier scheint visum iri für visurum esse zu stehen. Die beiden Belege zeigen, dass Ardo nicht wusste, wie die Formen auf -um iri für -urum esse verwendet werden sollten[1].

||S. 179|| Rädle hat S. 85 einige Genusfehler notiert. Vgl. noch mirae candoris S. 204, 44 und 210, 31 (Waitz). Zu femininen Abstrakta auf -or s. Verf., „Glotta“, 54 (1976), S. 128. – An der folgenden Stelle ist wohl viventes als ein Nominativus pendens zu betrachten: 203, 32 f. ariditate tabuerant corpora eorum, solo viventes pane et aqua. – 202, 25 pellis ossibus inherebat hac in modum pallearia bovum rugata pendebat. Hier wird in modum mit dem Nom. konstruiert, und zwar nach Analogie von quasi u. dgl.; ich kenne keine weiteren Belege für diese Konstruktion. – An ein paar Stellen sind Ardo (oder dem Schreiber des Archetyps) bei der Verwendung der Negationen Irrtümer unterlaufen: 200, 28 ff. (Ardo begründet sein Unterfangen damit, dass er Benedikts Nachfolger als Abt von Aniane sei) Dedit ausum ac consilium veniale etiam locus, quo ab eo primitus constat esse constructus, fratresque, qui eius noverant conversationis initia. Nam quod aliis contigit vix non audiri, ab his potuit vix non videri; der letzte Satz muss wohl bedeuten: „Was andere kaum zu hören bekamen, konnten diese zu sehen nicht vermeiden“; das non nach dem ersten vix ist also überflüssig. 202, 31 ff. quoniam inimitabilis erat vel nullis vel paucis...ut multorum fieret documentum salutis, in amore prefati viri Benedicti regulae accenditur; für inimitabilis würde man imitabilis erwarten.

Von ungewöhnlichen Wörtern bei Ardo seien die folgenden erwähnt: coopitulare „helfen“ 202, 31. – dux „Spund“ 214, 19: abstracto duce egreditur vinum. Das Wort lebt in dieser Bedeutung nicht in Frankreich, wohl aber in italienischen Mundarten weiter, s. v. Wartburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 3, 197 ff. – extorris 201, 40: a periculo...extorrem. Dieser Beleg ist insofern bemerkenswert, als das Wort extorris im übertragenen Sinn gewöhnlich mit Wörtern wie virtus, humanitas, consolatio verbunden wird (ThLL 5: 2, 2050, 65 ff.). Für seine Verbindung mit einem Begriff pejorativen Sinnes wie periculum zitiert der ThLL nur einen Beleg: ex hac culpa...extorris (ThLL 5: 2, 2050, 77 f.)[2]. – insipitudo für insipientia 205, 45. – primitus...quam für prius... quam 216, 21. – schilla „Schelle“ 216, 22. Der i-Vokal in diesem germanischen Lehnwort ist interessant; er ist für die südliche Romania charakteristisch (v. Wartburg, Franz. etym. Wb., 17, 109 ff.; z. B. aprov. esquila). – virgula „Korb“ 201, 12: in abiectis virgulis pulcherrimum pandere favum. Es handelt sich um Körbe aus Ruten, vermute ich.

Es gibt mehrere Stellen in der Vita, die von stilistischen Ambitionen zeugen, z. B. 204, 39 ff. certabant...quis eorum esset humilior, quisve in obedientia promptior, in abstinentia ardentior, in vigiliis anterior, in loquendo posterior, in vestitut vilior, in karitate ferventior; 215, 30 f. erat ... miserorum advocatus, set monachorum pater; pauperum consolator, set monachorum eruditor. Aber im grossen und ganzen wird Rädles Einschätzung von Ardos Sprache im Vergleich mit dem des Smaragdus richtig sein. Rädle hat allerdings das Latein des Smaragdus nicht untersucht, aber aus meiner Darstellung der Sprache in Smaragdus’ Donatkommentar (CC cm 65 [3]) geht hervor, dass es wenig Ähnlichkeit zwischen der Sprache des Smaragdus und der des Ardo gibt. Rädle 85 hat z. B. 10 Belege für den Accusativus absolutus aus Ardo notiert; diese Konstruktion ist bei Smaragdus viel seltener. Smaragdus bietet m. W. keine Parallelen zu der von Rädle a. O. aus Ardo belegten Verwechslung von Mask. und Neutr., zum Gebrauch von esto in konzessiver Bedeutung oder zu den von Rädle 86 besprochenen Anakoluthen. Die von mir belegten Fehler Ardos im Gebrauch der Negationen und des futurischen Infinitivs haben auch keine Gegenstücke bei Smaragdus und ebensowenig die oben aus Ardo angeführten Wörter. Smaragdus hat sich auch mehrerer Verstösse gegen die ||S. 180|| klassische Grammatik schuldig gemacht, aber im allgemeinen steht sein Latein sowohl syntaktisch als auch stilistisch auf einem bedeutend höheren Niveau als das Ardos.

Bengt Löfstedt

Anmerkungen

[1] Man könnte allerdings auch daran denken, an der letztgenannten Stelle visum ire zu lesen (vgl. HofmannSzantyr, Lateinische Syntax, S. 313 und 381.

[2] Aus späterem Mlat. vgl. Chart. archiep. Magd., Nr. 412, a. 1152–1185 (F. Israel – W. Möllenberg Hrsg., S. 544), ab omni iniusto gravamine et oppressione liberos et extorres.

[3] Vgl. non meinen Aufsatz über Smaragdus’ Regelkommentar, „Arctos“, 18 (1984), 37 ff.


Letzte Bearbeitung: $Date: 2008-10-23 19:52:24 $